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Morisot Screenshot 20210206 004312 Wikipedia

               Berthe Morisot (1841-1895):   "Junges Mädchen im Grünen. Mlle. Isabelle Lambert”, Öl auf Leinwand, 73.5 × 60 cm,

Ordrupgaard Museum, Charlottenlund 

 

Ein junges Mädchen im Grünen, ein Käfig, ein rotes Korsett – eine Bildbetrachtung

Anfang letzten Jahres wurde im Rahmen der Gastausstellung „Impressionismus. Meisterwerke aus der dänischen Sammlung Ordrupgaard“ dieses Bild eines jungen Mädchens in der Hamburger Kunsthalle gezeigt: „Berthe Morisot (1841–1895): Junges Mädchen im Grünen. Mlle Isabelle Lambert” (im Original: Berthe Morisot (1841–1895): Ung pige i det grønne. (Mlle Isabelle Lambert).  Es handelt sich um ein Leinwandgemälde kleineren Formats aus der Hand von Berthe Morisot.

Berthe Morisot gehörte zu den bedeutendsten Malerinnen des französischen Impressionismus. Sie war als einzige Frau in der Gruppe von Künstlern vertreten, die sich 1874 mit einer ersten Gegenausstellung zum akademischen und gesellschaftlich anerkannten, alljährlich stattfindenden Pariser Salon organisierten.

Die als Schmierereien bewerteten Bilder der Gegenausstellungen wurden meist spöttisch betrachtet, sie entsprachen bei weitem nicht der gängigen akademischen Norm. Da sich die  Künstler und die Künstlerin nicht auf abbildende Darstellungen konzentrierten, sondern auf das Einfangen von Stimmung, von Licht und vom Moment, wiesen viele Bilder in dieser Ausstellung im Titel den Begriff „Impression“ auf. Als Konsequenz mussten sie sich durch die Kunstkritik „Impressionisten“ schimpfen lassen – und behielten diesen Namen bei.

Den einfachen, alltäglichen Motiven, die in den „Impressionen“ zu sehen waren und die nicht dem klassischen Bildungskanon entsprachen, wurde ebenso wenig Verständnis entgegengebracht, wie der damit verbundenen Malweise. Diese wurde auf einmal deutlich: Pinselstriche und Tupfen waren zu sehen, das Material der Farbe, auch mal die bloße Leinwand. Man sah also den Akt des Malens auf der Leinwand selbst, was einer Zerstörung des bis dahin bevorzugten makellosen Abbildes gleichkam. 

Man kann anhand dieses Bildes sehr schön sehen, dass Berthe Morisot, die sich seit den späten 50ern an den Meisterwerken im Louvre schulte, ab den 60er beim Landschaftsmaler Corot in die Schule ging und in den 70ern eng mit Edouard Manet arbeitete, ab den 1880ern ihre Malweise experimentierfreudig weiterentwickelte: durch die direkte Malerei auf einer nicht grundierten, rauen Leinwand bekam ihr Pinselstrich mehr Kraft und Struktur. Ihr Pinselstrich wurde immer lockerer, so dass sich viele beklagten, ihre Gemälde glichen eher skizzierten Zeichnungen. Sie ließ gerne Arbeitsvorgänge stehen, wenn das Ziel der Stimmungserzeugung erreicht war. Nicht das Sujet, sondern die Farbe gerät dabei mehr und mehr zum vordergründigen Thema und wird zu einem Wirbel von Pinselstrichen.

Zehn Jahre später nach der ersten unkonventionellen Ausstellung der Impressionisten entsteht durch die Hand von Berthe Morisot das Bild des Mädchens im Grünen. Es ist bekannt, dass es sich um Mademoiselle Isabelle Lambert handelt. Eine junge Frau aus dem Bekanntenkreis der Künstlerin, der sie mehrmals Positur stand. Hier ist sie im Grünen sitzend abgebildet. Während ihr Rock locker auf dem Gras liegt, sitzt sie mit aufrechtem Oberkörper, die Hände in den Schoß gelegt, und schaut am Betrachter vorbei. Ihre Kleidung scheint der zeitgenössischen Mode des wohlhabenden Bürgertums zu entsprechen, ihr Oberteil leuchtet rot, ein Sommerhut schmückt ihren Kopf. Ob es sich beim Grünen mit den angedeuteten Blumen um sie herum um eine wilde Wiese oder einen Garten handelt, können wir weder von der Malweise, noch vom Sujet ableiten. Das Grüne der Natur wird auf einen mit dynamischen Strichen, wild gezeichneten neutralen Hintergrund reduziert. Rechts hinter der jungen Frau sieht man einen Vogelkäfig stehen, der Vogel selbst ist darin kaum zu erkennen. Das Türchen des Käfigs wird durch ein rotes Band dekorativ verschlossen.

Fest, und doch verloren scheint das Mädchen im grünen Wirbel zu sitzen. Die Präsenz des leuchtenden Oberteils dominiert das Bild und zeigt ihre aufrechte Haltung, die Hände und der Blick sprechen jedoch eine andere Sprache. Die rote Schleife, die den Käfig zusammenhält, nimmt als rückbezüglicher Akzent die leuchtende Farbe des Oberteils auf und verweist auf eine dem Bild innewohnende Thematik, welche leicht zu übersehen ist:

Ein Korsett gehörte der zeitgenössischen Mode an und wurde bei einem hübschen Mädchen als schmuckvoll angesehen, wahrscheinlich auch von der jungen Frau selbst. Gleichzeitig engte es das Mädchen oder die Dame ein und zwang es in eine bestimmte Haltung, die freie natürliche Bewegung war stark eingeschränkt.

Der hinter dem Mädchen stehende Vogelkäfig nimmt diese Thematik symbolisch auf. Ein weißlich-golden schimmernder Käfig mit roter Schleife mag sehr hübsch und gefällig und ein zeitgenössisch netter Zeitvertreib für ein junges Mädchen seiner Zeit sein. Gleichzeitig sperrt er ein Leben ein, begrenzt sehr stark dessen Radius; der Käfig hält das freie Leben, das sich hier in der Natur aufhält, also in seinem natürlichen Lebensumfeld, gefangen. 

Wir wissen nichts vom Seelenzustand der Mlle Isabelle Lambert. Aber wir wissen, dass es den impressionistischen Künstlerinnen und Künstlern um mehr ging, als ein einfaches Abbild einer Person zu zeigen: es ging um das Festhalten von Stimmung. Beim Menschen hieß das, einen Moment festzuhalten, gleichzeitig eine darüber weit hinausgehende Stimmung, die man als Seelenleben bezeichnen kann. Und so wie bei den vielen Sonnenuntergängen von Monet, die nicht abgebildet wurden, um genau auf den einzelnen lokalen Sonnenuntergang zu verweisen, sondern um allgemein die grundsätzliche Schönheit, Erhabenheit, Stimmung eines Sonnenuntergangs zu transportieren, so kann man bei Berthe Morisot von der Intention ausgehen, mit diesem Bildnis einer jungen Dame auch grundsätzlich vom jungen, bürgerlich weiblichen Leben und seinen Beschränkungen zu sprechen.

Der Künstlerin selbst war dieses Gefühl sehr präsent: sie selbst litt darunter, als Künstlerin nicht die gleichen Freiheiten innezuhaben wie ihre männlichen Kollegen, und sich als gutbürgerliche junge Frau nicht ebenbürtig wie sie frei und ungezwungen im öffentlichen Raum bewegen zu dürfen. 

Es verwundert nicht, dass diesem Bild weitere Titel zugesprochen werden. 2018 lud die National Gallery of Canada die Sammlungsdirektorin des Musee d´Orsay, Sylvie Patry, aus Paris zu einem Vortrag über Berthe Morisot ein, in dem zwei Bilder von Morisot Gegenstand des Vortrags waren, eines davon das hier gezeigte Porträt. Es trägt in der Ankündigung des Vortrages den Titel: Jeune fille sur l’herbe. Le corsage rouge (Mademoiselle Isabelle Lambert). Sucht man nach dem Bild bei Wikipedia, findet man es in der deutschen Ausgabe unter dem Titel Junges Mädchen mit Käfig. Dies sind Titulierungen, die vielleicht nicht dem Original folgen, die aber das Bild von der Oberfläche holen, in dem sie den althergebrachten gefälligen Blick des Betrachters von dem jungen Mädchen im Grünen nun auf die symbolisch aufgeladenen Gegenstände lenken: auf das einschnürenden Korsett und den "goldenen" Käfig.

Quellen und Hinweise:

Ausstellungskatatlog: Berthe Morisot. Mit Essays von Cindy Kang, Marianne Mathieu, Nicole R. Myers, Sylvie Patry und Bill Scott, Rizzoli Electa, New York, 2018.

Jean-Dominique Rey (mit Vorwort von Sylvie Patry): Berthe Morisot. Flammarion, Paris, 2010

Ingrid Pfeiffer und Max Hollein (Hrsg.): Impressionistinnen. Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalès, Marie Bracquemond. Hatje Cantz, Ostfieldern 2008.

https://www.hamburger-kunsthalle.de/ausstellungen/impressionismus

https://ordrupgaard.dk/en/portfolio_page/morisot-young-girl-on-the-grass/

https://www.musee-orsay.fr/de/veranstaltungen/ausstellungen/in-museen/ausstellungen-im-musee-dorsay-mehr-informationen/page/0/article/berthe-morisot-47695.html?cHash=fa72e96772

https://www.gallery.ca/whats-on/calendar/berthe-morisot-and-impressionism-a-womans-point-of-view

https://de.wikipedia.org/wiki/Berthe_Morisot

 

                                                                                                ( Agnes E. Köhler, Kiel, Kunsthistorikerin)

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