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Gerade gelesen:
Andrea Wulf
Fabelhafte Rebellen
Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich
C. Bertelsmann 2022F.B. 20230118 104252 resized

20 Kapitel, sowie Prolog und Epilog auf gut 400 Seiten!
Das Buch gibt einen Einblick in Leben und Wirken des „Jenaer Kreises“, der etwa 10 Jahre von 1795 – 1805 als kreative Brutstätte einer Philosophie bestand, die den Individualismus heutiger Prägung gedanklich ausformte und das bis zur Französischen Revolution vorherrschende Konzept der zu gehorchenden Untertanen in weiten Teilen der westlichen Welt verdrängen sollte.

Eine der Leitfiguren, Johann Gottlieb Fichte, formulierte in Jena, einer kleinen Universitätsstadt mit nicht einmal 5000 Einwohnern aber mit großen Freiheitsrechten für die Professoren, seine „Ich“ – Philosophie. Das „Ich“ rückte in den Mittelpunkt alles Denkens und nicht mehr der bis dahin alles bestimmende Herrscher.

Die große Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses in Jena lockte Lehrende und Studenten aus allen deutschen Staaten und aus ganz Europa an. Die Schaffung von zahlreichen Professorenstellen für junge Wissenschaftler durch den über großen Einfluss beim Fürsten von Sachsen Weimar, zu dem die Stadt Jena gehörte, verfügenden Minister Johann Wolfgang von Goethe, schuf ein kreatives Milieu, das nach ganz Europa ausstrahlte.

Zum „Jenaer Kreis“ gehörten u.a. dauerhaft oder temporär neben J. W. Goethe und Friedrich Schiller die wesentlich jüngeren Johann Gottlieb Fichte, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Novalis (Heinrich von Hardenberg), Friedrich Schelling, Alexander und Wilhelm von Humboldt und vor allem eine Frau, Caroline Schelling, geb. Michaelis, verwitwete Böhmer, geschiedene Schlegel. An ihr, wie an einigen anderen Frauen, wird der hohe Bildungsgrad von Frauen aus bestimmten sozialen Schichten in jener Zeit aufgezeigt und welchen Einfluss sie auf das Schaffen der Männer hatten, aber auch, wie ihr eigenes Schaffen meist nur unter dem Namen ihrer Männer veröffentlicht werden konnte, wodurch sie für die Geschichte unsichtbar wurden.

Im Hintergrund der Buchtextes „hört“ man förmlich das Grummeln der napoleonischen Kriege in großen Teilen Europas, bis diese 1806 mit der Schlacht von Jena und Auerstedt das endgültige Aus für den „Jenaer Kreis“ und die hervorragende Bedeutung der Universität Jena herbeiführten. Die noch lebenden Protagonisten zerstreuten sich durch ganz Europa. Sie verbreiteten damit aber auch ihre Philosophie. Die Saat der Frühromantiker ging auf, da ihre Gedankenmodelle zusätzlich die Ideale der Französischen Revolution, die sie inspiriert hatte, untermauerten.

Das Buch zeigt aber auch in eindrucksvollen Bildern, die Lebensweise der akademisch gebildeten Schichten, den niedrigen Wissensstand der Medizin, die z.T. recht lockeren Moralvorstellungen im sexuellen Bereich und die Unsicherheiten der Existenzsicherung.

Das Buch ist pure Bildung in leicht lesbarer Form!

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