Unbedingt lesen!
Caroline Criado-Perez
Unsichtbare Frauen
Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert
btb Verlag 2020
Der Titel sagt alles!
Da Frauen seit Urzeiten als Abweichung vom menschlichen Standard dargestellt werden (s. z.B. schon Aristoteles „Von der Entstehung der Tiere“), wurden sie nie besonders wahrgenommen. Eine „Abweichung“ musste sich an die „Normalität“ anpassen, ansonsten war sie wertlos. Daher spielten Frauenbedürfnisse in der Vergangenheit und auch heute noch im Alltagsleben eine geringe Rolle trotz der in vielen Ländern vorhandenen Gleichstellungs- und Gleichberechtigungsgesetze.
Caroline Criado-Perez belegt das an Hand von unzähligen Beispielen und belegt diese mit unglaublichen 1331 Fußnoten. Das bedeutet gleichzeitig, dass es Wissen gibt, das aber nicht in Taten umgesetzt wird.
Das Buch öffnet einem die Augen auch für all die oft unbeabsichtigten Diskriminierungen der Frauen in allen Bereichen des Lebens. Diese beruhen weitgehend nur darauf, dass in den Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen keine Frauen mit einbezogen werden. Es herrscht weltweit die nicht ausrottbare falsche Annahme, dass sich Männer und Frauen nur durch das Vorhandensein unterschiedlicher Geschlechtsorgane unterscheiden, eine Annahme, die eigentlich von der Medizin seit Jahrzehnten als nicht haltbar nachgewiesen wurde und trotzdem gerade im Arzneimittelbereich zu gravierenden Problemen führt.
Die Autorin zeigt, welchen Einfluss außerdem Erziehung und Sozialisation auf die Unsichtbarkeit von Frauen in der gesamten Datenwelt haben.
Sie zeigt, wie tradierte Gesetze, wie z.B. das Wahlrecht, Frauen unsichtbar machen und dann durch ihre geringe Präsenz in Entscheidungsgremien die Wirkung verstärkt wird.
Da die meist von Frauen geleistete „Care-Arbeit“ als weitgehend unbezahlte Arbeit nicht in Zahlen gefasst wird und kaum in Statistiken auftaucht, wird ihre Bedeutung nicht erkannt. Sie findet dementsprechend auch keinen Eingang in Prozesse wie die Gestaltung von Verkehrswegen (Frauen nutzen seltener Autos, haben kompliziertere Bewegungsmuster als Männer), Lage und Anbindung von Wohnquartieren, ja selbst winterliche Schneeräumdienste für die von Frauen stark genutzten Fuß- und Radwege werden nachrangig behandelt, obwohl Autos mit Schnee besser zurecht kommen als Fahrräder oder Kinderwagen. Überhaupt „Care-Arbeit“ ist eine Wirtschaftsleistung. Sie findet aber keinen Eingang in Wirtschaftskennzahlen, weder im Zeitaufwand, noch wird sie irgendwo monetarisiert erfasst. Frauenleistung bleibt unsichtbar.
Auch die lange Zeit völlig totgeschwiegenen sexuellen Übergriffe auf Frauen und ihre u.a. daraus resultierenden Sicherheitsbedürfnisse, die uns z.Z. vor allem auch in allen Flüchtlingslagern dieser Welt drastisch vor Augen geführt werden, aber nicht nur dort ein Problem sind, oder selbst so banale Dinge, wie das Fehlen privater (in vielen Elendsvierteln) oder öffentlicher Toiletten, getrennt für Männer und Frauen, werden thematisiert.
Das Buch geht auf fast alle Lebensbereiche ein. Es zeigt, wie Frauenbedürfnisse weltweit mehr oder minder unberücksichtigt bleiben.
Frau und Mann muss es lesen! Es schärft den Blick für Vieles und regt zum Mitdenken an.