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Rezension

Nicole Seifert: „Einige Herren sagten etwas dazu“ – die Autorinnen der Gruppe 47. 

 Am 14. Nov. 2024 stellte Nicole Seifert im Literaturhaus Kiel ihr neues Buch vor mit dem Titel: „‘Einige Herren sagten etwas dazu‘ – die Autorinnen der Gruppe 47“, erschienen 2024 bei Kiepenheuer & Witsch. Überschrieben war der Abend mit dem Satz: „‘Von der Gruppe 47 bis heute‘ – Frauen im Literaturbetrieb“. Begleitet wurde Nicole Seifert einerseits von einer Zeitzeugin wie Elisabeth Plessen (veröffentlichte zum Beispiel das Buch: „Mitteilung an den Adel“ und war Teilnehmerin am letzten Treffen der Gruppe 47) und andererseits von einer Repräsentantin der heutigen Generation, der Erfolgsautorin Simone Buchholz, Krimiautorin, die über ihre Erfahrungen berichteten. Moderiert wurde der Abend von Katja Weise (NDR Kultur). NDR Kultur hat die Veranstaltung aufgezeichnet und am 26. Jan. 2025 um 20:00 Uhr gesendet.

Mir war die Rolle der aufgrund von vorhandenen Quellen festgestellten 26 Autorinnen in der Gruppe 47 von insgesamt 204 Schreibenden während der 20 Jahre des Bestehens der Gruppe nicht bewusst und nicht bekannt.

(Auch in Wikipedia werden nur neunzehn von sechsundzwanzig Autorinnen aufgeführt.) Bei meiner Suche nach dem Buchtitel von Nicole Seifert auf der Plattform „Buchkatalog.de“ wurde der Titel angezeigt: „Die Frauen der Gruppe 47 – Zur  Bedeutung der Frauen für die Positionierung der Gruppe 47 im literarischen Feld.“ (Dissertation, 2017) von Wiebke Lundius, geboren 1958, Germanistin und Kunstwissenschaftlerin. Wie dem Literaturverzeichnis von Nicole Seifert entnommen werden kann, bezieht sie sich, auf das Werk von Wiebke Lundius. Trotzdem hatte ich an diesem Abend den Eindruck, dass Nicole Seifert sich als Erste ausführlich und systematisch mit dem Werdegang der einzelnen Autorinnen befasst hat.

Der Antrieb, dieses Buch zu schreiben war für Nicole Seifert, dass es um die Frauen im Literaturbetrieb bislang erstaunlich still blieb. Zwingend sei es, die jüngere deutsche Gegenwartsliteratur neu zu denken. Neben Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger wurden andere Autorinnen vergessen und gar nicht miterzählt, wenn doch, dann nicht als Autorinnen ihrer Texte, sondern als begehrenswerte Körper oder als tragische Wesen.

Nicole Seifert, geboren 1972 und promovierte Literaturwissenschaftlerin hat sich vorgenommen, das zu ändern. In ihrer Dissertation 2008 „Von Tagebüchern und Trugbildern - …“ befasste sie sich mit den autobiographischen Aufzeichnungen der Schriftstellerinnen Virginia Woolf, Katherine Mansfield und Sylvia Plath, die nach dem Tod der Autorinnen von ihren Ehemännern (Leonhard Woolf, John Middleton Murry, Ted Hughes) herausgegeben wurden. Zunächst erschien 2021 ihr Buch „Frauen Literatur - Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“. In ihrem neuesten Buch widmet sie sich in elf Kapiteln siebzehn Autorinnen,  darunter Gisela Elsner und Gabriele Wohmann, Ruth Rehmann, Helga M. Novak und Barbara König, die zu den Treffen nur aufgrund der Einladungen von Hans Werner Richter gekommen waren. Dazu gehörten zwei Autorinnen, die aus der DDR kamen. Es nahmen auch einige Ehefrauen an den Treffen teil ohne Autorinnen zu sein. Umgekehrt war dieses nicht möglich, es sei denn die Ehemänner waren selbst Literaten, wie z. B. Günter Eich, späterer Mann von Ilse Aichinger.

Das erste Kapitel beginnt 1958 – und nicht mit dem Jahr 1947, dem Gründungsjahr der Gruppe 47, sondern

mit der sogenannten Frauentagung und berichtet über Ruth Rehmann und Ingrid Bachér. Die übrigen

Kapitel folgen der Chronologie der Treffen.

Die Autorinnen werden in Einzeldarstellungen oder in Zweier- und Dreiergruppen vorgestellt. Dies geschieht von noch vorhandenen und bekannten Lebenszeugnissen, Rezensionen, Nachrufen und Nachlässen  in der BRD  und der Nennung ihrer Werke - soweit bekannt – einschließlich ihres Werdegangs. Die Recherchen gestalteten sich bei den nicht bekannten Autorinnen und deren nicht kanonisierten Werken häufig als sehr schwierig, wie Nicole Seifert berichtete. Hatten einzelne Autorinnen Erfolg, so war dieser nicht nachhaltig. Mit einigen Autorinnen, soweit es noch möglich war, wie z. B. mit Elisabeth Plessen und Gabriele Wohmann, führte Nicole Seifert Interviews. Den Kapiteln stellt Nicole Seifert jeweils zwei sehr bezeichnende Zitate voran: ein Zitat stammt jeweils von einzelnen Autorinnen und beschreibt, wie sie ihre Teilnahme an den Treffen der Gruppe 47 empfunden haben und was es für sie bedeutet hat. Das zweite Zitat stammt von teilnehmenden Literaten und Kritikern.

Im zwölften und letzten Kapitel wird das Thema behandelt „Wie die Männer auf die Frauen schauten und die Frauen auf sich selbst – 1947 / 1967“.

Nicole Seifert beschreibt hier die Gründe, weshalb die Mehrheit der  Autorinnen der Gruppe 47 nachträglich aus der Gruppen- und Literaturgeschichte getilgt wurde. Ausgeführt wird, dass die Gründe in der kulturell tief verankerten Diskriminierung weiblichen Schreibens liegen und dass die entscheidenden Männer und Historiker der Gruppe sich für die Frauen selbst interessierten, nicht für deren Literatur.  Dieses ist auch den Zitaten zu entnehmen, die den Kapiteln vorangestellt sind. Es besteht eine Diskrepanz, wie die Autorinnen von der Gegenseite gesehen werden: einerseits als dienende Begleiterinnen von Göttern und andererseits als bedrohliche Mischwesen sowie todbringende Kreaturen. Hans Werner Richter formulierte über die „Frauen, die keine Frauen sein wollen“ – Es sind Frauen, die sich ihrer eigentlichen Aufgabe, für die Männer da zu sein, entziehen und einer selbst gewählten Aufgabe nachgehen: dem Schreiben. 

Die Gruppe 47 entstand in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus dem überschaubaren Zusammentreffen vornehmlich ehemaliger Kriegsteilnehmer, die ausschließlich von Hans Werner Richter eingeladen wurden. Die Treffen entwickelten sich zu  viel beachteten, von der kulturinteressierten Öffentlichkeit und vom literarischen Markt aufmerksam betrachteten Ereignissen. Eine Problematik war, dass die Männer in den Krieg gemusst hatten während die Frauen studieren konnten.

Texte wie Ilse Aichingers „Die größere Hoffnung“ wurden auch aufgrund ihrer erstmaligen Thematisierung der NS-Vernichtungslager marginalisiert. Es ist wohl ein engstirniger und patriarchaler Kreis gewesen. „Biografisch“ war ein Lieblingsvorwurf gegen die Texte von Autorinnen. Die Herren durften selbst dagegen Schlüsselromane produzieren, in denen ihre Kriegserlebnisse aufbewahrt wurden.

Kein Wunder, dass eine Statistik über die Titelproduktion der einzelnen AutorInnen aufzeigt, dass die Männer aufs Ganze gesehen deutlich mehr Bücher veröffentlichen als Frauen.

Nicole Seifert führt in diesem Kapitel weiter aus, dass  die Zusammenhänge der vorherrschenden Narrative der Geschlechterrollen im 20. Jahrhundert  noch nicht so vielseitig beschrieben wurden wie heute. Der Fokus des Feminismus der Siebziger Jahre lag noch auf einem Antagonismus von Frauen und Männern, nicht auf strukturellen gesellschaftlichen Zusammenhängen und der Fragwürdigkeit tradierter Geschlechterkonstrukte.                                                                                                                                     

Daraus ist vermutlich zu folgern, warum der Protest der Autorinnen nicht lauter war. Nicole Seifert bezieht sich auf weitere  Literaturwissenschaftlerinnen wie Wiebke Lundius, Silvia Bovenschen, Sady Doyle und Christine Schmidjell.

Zum Schluss fragt sich Nicole Seifert, was wohl passiert wäre, hätte man über die Texte der Autorinnen ins Gespräch gefunden und sich für ihre Inhalte und ihre ästhetischen Verfahren interessiert?

Interessant wäre es vermutlich gewesen, wenn die Texte der aufgeführten Autorinnen analysiert worden wären. Der Umfang würde sicherlich jedoch einen zusätzlichen Band erfordern.

Das Buch umfasst 333 Seiten, davon 128 Seiten für umfangreiche Anmerkungen, Literaturhinweise, Quellen, Nachweise für Primärtexte, Bildnachweise und das Personenregister!

Die Thematik des hier vorgestellten Buches ist historisch und kulturell sehr interessant und sehr lesenswert!

Siehe weitere Beiträge: Deutschlandfunk.de; Literaturkritik.de; Perlentaucher.de; 3Sat

https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/nicole-seifert-ueber-autorinnen-der-gruppe-47-100.html

https://www.ardmediathek.de/video/ndr-kultur-das-journal/an-den-rand-gedraengt-und-vergessen-die-frauen-der-gruppe-47/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS82NDJjMmNkNi1mN2I1LTRmM2ItYmY0MS05OGIzNDBiMmQ1MTQ

Gisela Kordes , DAB SH, Februar 2025.

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